Antrag zur Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis90/Die Grünen
am 15.-17. November 2019 in Bielefeld
1. Zum Wirkungsnachweis von hochverdünnten (homöopathisch potenzierten) Lösungen:
Die Aussage „Eine Änderung der Wirksamkeit eines Stoffes durch die sogenannte Potenzierung ist nicht nachweisbar“ ist falsch. Wirkungen homöopathisch potenzierter Substanzen wurden in vielen Laborexperimenten mittels verschiedener Testverfahren nachgewiesen und auch bei wiederholten Untersuchungen bestätigt.
2. Zur Wirksamkeit in Placebo-kontrollierten klinischen Studien:
Die Aussage „Die fehlende Wirksamkeit homöopathischer Verfahren über den Placebo-Effekt hinaus wurde mehrfach in sehr großen und qualitativ hochwertigen Studien dargelegt“ ist falsch. Eine solche Wirksamkeit wurde in vielen klinischen Studien und in entsprechenden Meta-Analysen gefunden, auch bei Studien bzw. Meta-Analysen von höherer methodischer Qualität.
3. Zu „Gefahren“ der Homöopathie:
Die Aussage über ein „gesundheitliche[s] Risiko der verspäteten Behandlung durch Symptomverschleppung, wenn Homöopathika bei gefährlichen bzw. chronischen Erkrankungen anstatt eines Medikaments mit pharmazeutischen Wirkstoffen eingenommen werden“ beruht auf spekulativen Behauptungen ohne Evidenzgrundlage und ist von daher irreführend. Dass erforderliche Therapien nicht in Anspruch genommen werden, ist ein Allgemeinproblem in der Medizin. Ob dieses Problem im Kontext der Homöopathie häufiger als sonst vorkommt, ist offen. Die diesbezügliche Datenlage aus Fallberichten und vergleichenden Studien spricht gegen eine solche Hypothese.
Auffällig ist die Diskrepanz: Diese Aussagen sollen ein „Bekenntnis zu einer auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Gesundheitspolitik“ sein, es wird aber die tatsächliche Datenlage igno-riert und es werden lediglich ungeprüfte populäre Meinungsäußerungen übernommen.
„In den meisten Fällen wird [die] Substanz zur Herstellung eines Homöopathikums mehrfach unter Zugabe von Wasser oder Alkohol verdünnt und nach jedem Schritt stark geschüttelt (sogenannte Potenzierung). Eine Änderung der Wirksamkeit eines Stoffes durch die sogenannte Potenzierung ist nicht nachweisbar.“
Die Aussage „eine Änderung der Wirksamkeit eines Stoffes durch die sogenannte Potenzierung ist nicht nachweisbar“ ist falsch. Wirkungen homöopathisch potenzierter Substanzen wurden in vielen Laborexperimenten mittels verschiedener Testverfahren nachgewiesen und auch bei wiederholten Untersuchungen bestätigt:
2007: In einem systematischen Review zur Laborforschung (in vitro) mit homöopathischen Hochpotenzen wurden 67 Experimente ausgewertet, ein Drittel hiervon waren Replikationen: Drei Viertel der Experimente und auch der Replikationen zeigten Hochpotenzeffekte [1].
2010: In einem systematischen Review wurden 107 biochemische, immunologische, zellbiologische und zoologische Experimente hinsichtlich Reproduzierbarkeit ausgewertet: In der Hälfte davon (53mal) zeigten Nachfolgestudien vergleichbare Effekte [2].
Gegenwärtig ist der Forschungsstand, dass sich Effekte von Hochpotenzen auch nach neuen, höheren Standards mit validierten Modellen aufzeigen und replizieren lassen [3-7].
„Die fehlende Wirksamkeit homöopathischer Verfahren über den Placebo-Effekt hinaus wurde mehrfach in sehr großen und qualitativ hochwertigen Studien dargelegt.“
Die Aussage ist falsch. Eine Wirksamkeit homöopathischer Therapie über den Placebo-Effekt hinaus wurde in vielen klinischen Studien und in entsprechenden Meta-Analysen gefunden, auch bei Studien von höherer methodischer Qualität.
Seit 1996 wurden sechs Meta-Analysen von randomisierten, Placebo-kontrollierten klinischen Homöopathiestudien zu jeglicher Behandlungsindikation aus dem Bereich der Humanmedizin veröffentlicht, davon drei zu jeglicher Art von Homöopathie (Boissel 1996 und Cucherat 2000 [8,9], Linde 1997 und 1999 [10,11] Shang et al 2005/Lüdtke 2008 [12,13]), zwei nur zu individualisierter Homöopathie (Linde 1998 [14], Mathie et al 2014 [15]) und eine zu nicht-individualisierter Homöopathie (Mathie et al 2017 [16]).
--> Erläuterungen zur Methodik Placebo-kontrollierter klinischer Homöopathiestudien und ihrer Meta-Analysen
Alle Primäranalysen dieser sechs Meta-Analysen zeigten einen positiven Therapieeffekt der Homöopathie über Placebo hinaus. Diese Therapieeffekte waren in fünf der sechs Meta-Analysen [9,10,14-16] statistisch signifikant, in der sechsten Meta-Analyse [12] wurde die statistische Signifikanz nicht explizit erwähnt, ist aber angesichts der sonstigen veröffentlichten Daten wahrscheinlich.
Zu allen sechs Meta-Analysen wurden Sensitivitätsanalysen hinsichtlich der methodischen Qualität der eingeschlossenen Studien durchgeführt. Verwendet wurden dabei jeweils 1 bis 9 Studienqualitätsindikatoren. So entstanden insgesamt mehr als 50 Sensitivitätsanalysen. Wenn wir hier die Sensitivitätsanalysen mit jenen Qualitätsindikatoren ausklammern, die nicht empfohlen werden (Korrekturverfahren aufgrund von Funnel-Plot-Diagnostik [17,18], Beschränkung auf Studien mit einer bestimmten Dropoutrate [19]) oder bei denen ein Qualitätsindikator wiederholt schrittweise geändert wird, ohne dass zugleich ein Wechsel von statistischer Signifikanz zu Nicht-Signifikanz oder umgekehrt erfolgt, bleiben 19 Sensitivitätsanalysen.
Bei 7 dieser 19 Sensitivitätsanalysen [9-11]war jeweils nur ein einziger Qualitätsindikator verwendet worden; alle 7 zeigten einen signifikanten positiven Therapieeffekt der Homöopathie über Placebo hinaus.
Bei 12 dieser 19 Sensitivitätsanalysen waren jeweils mehrere Qualitätsindikatoren verwendet worden. Alle 12 Analysen zeigten einen positiven Therapieeffekt der Homöopathie über Placebo hinaus, und zwar 9mal statistisch signifikant [10,11,13,15,16] und 3mal nicht signifikant [11,14,16].
Zusammenfassung: Meta-Analysen von Placebo-kontrollierten Homöopathiestudien zu jeglicher Indikation zeigen positive Therapieeffekte der Homöopathie über Placebo hinaus (6 von 6 Meta-Analysen), die statistisch signifikant sind (explizit 5 von 6, wahrscheinlich 6 von 6 Meta-Analysen). Bei Beschränkung der Meta-Analysen auf Studien mit höherer methodischer Qualität sind die positiven Therapieeffekte weiterhin überwiegend signifikant (16 von 19 Sensitivitätsanalysen), auch bei Analysen mit einer hohen Anzahl von Qualitätsindikatoren (7 von 9 Analysen), mit besonders strikten Kriterien (3 von 4 Analysen) und nach den neueren, verbesserten Standards (3 von 4 Analysen).
„Einige betonen das gesundheitliche Risiko der verspäteten Behandlung durch Symptomverschleppung, wenn Homöopathika bei gefährlichen bzw. chronischen Erkrankungen anstatt eines Medikaments mit pharmazeutischen Wirkstoffen eingenommen werden.“
Diese Aussage beruht auf spekulativen Behauptungen ohne Evidenzgrundlage, sie ist von daher irreführend.
Allgemein gilt: Es gibt in der Medizin ärztliche Kunstfehler, auch ist die Compliance der Patienten nicht immer optimal. Dass erforderliche Therapien bisweilen nicht in Anspruch genommen werden, ist ein Allgemeinproblem in der Medizin. Ob dieses Problem häufiger vorkommt, wenn „Homöopathika ... eingenommen werden“, ist eine empirische Frage, weswegen statt bloßer Mutmaßungen ein kritischer Blick auf die tatsächliche Evidenzlage und hierbei letztlich auf vergleichende Studien zur Behandlungspraxis erforderlich ist.
Zu dem speziellen Thema der verspäteten Behandlung bzw. Symptomverschleppung gibt es ein systematisches Review zu Fallberichten und Fallserien. Es konnten in der Weltliteratur 8 Publikationen zu insgesamt 16 Patienten gefunden werden. Laut der Autoren seien bei diesen Patienten durch die Anwendung von Homöopathie statt konventioneller Medizin verschiedenste Komplikationen verursacht worden [20]. Die gesicherte Datenlage ist allerdings anders. Wir haben die Originalpublikationen dieses Reviews überprüft: Nur in einem einzigen (!) der 16 Fälle konnte bestätigt werden, dass bei Einnahme von Homöopathika und Nichtanwendung eines indizierten Medikaments Komplikationen aufgetreten sind (Nichtanwendung von früher schlecht vertragenen Malariaprophylaktika bei Reise in Gegend mit endemischer Malaria, gefolgt durch Malaria – wobei die Nichtanwendung von Malariaprophylaxe auch völlig unabhängig von Homöopathie ein Problem in der Reisemedizin sein kann [21,22]).
Bei den anderen 15 Patienten: 6mal eindeutig überhaupt keine homöopathische Behandlung bzw. überhaupt keine Nicht-Inanspruchnahme konventioneller Therapie; 4mal mit großer Wahrscheinlichkeit überhaupt keine homöopathische Behandlung bzw. keine Komplikationen wegen fehlender wirksamer Behandlung, sondern wegen Eliminationsdiät von Säuglingen; 5mal ungesichert, ob die angebliche Behandlung durch „Homöopathen“ eine tatsächliche homöopathische Behandlung beinhaltete.
In vergleichenden Studien von homöopathischer und konventioneller Therapiebzw. Placebo (verschiedene Indikationen: randomisierte Studien, [23-25] Beobachtungsstudien [26-33]) waren Nebenwirkungen bzw. Komplikationen unter Homöopathie vergleichbar häufig [23-26,28,30-33] oder signifikant seltener ([27,29] + Erwachsene in [28]) als unter konventioneller Therapie bzw. Placebo.
Die drei hier untersuchten Aussagen
sind wissenschaftlich falsche bzw. irreführende Aussagen über ein komplementärmedizinisches Therapieverfahren. Die entsprechenden Fakten wurden oben dargestellt.
Auffällig ist die Diskrepanz: Diese Aussagen sollen ein „Bekenntnis zu einer auf wissenschaft-lichen Erkenntnissen basierenden Gesundheitspolitik“ sein, es wird aber die tatsächliche Datenlage ignoriert und es werden lediglich ungeprüfte populäre Meinungsäußerungen übernommen.
Freiburg, 8. November 2019
Dr. med. Harald J. Hamre
Dr. med. Helmut Kiene.
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