3 Evaluation der Anthroposophischen Medizin

Einer der Arbeitsschwerpunkte des IFAEMM ist die Evaluation der anthroposophisch orientierten Medizin. Es handelt sich um ein Therapiesystem, das vor einhundert Jahren in Mitteleuropa begründet wurde und heute ergänzend (komplementär) zur konventionellen Medizin realisiert wird. Gemeinsam ergeben die konventionelle und die anthroposophische Medizin eine Form der Integrativen Medizin

Konkrete Evaluationsbeiträge des IFAEMM:

Die wichtigen Themen bei der Evaluation der Anthroposophischen Medizin sind:

  • Das grundsätzlich Besondere der anthroposophisch orientierten Medizin
  • Health Technology Assessment Bericht 
  • Sicherheit 
  • Wirksamkeit
    • Evaluation des Gesamtsystems der anthroposophischen Medizin
    • Evaluation am Einzelpatient und ärztliche Expertise
    • Evaluation konkreter Einzeltherapien: Misteltherapie, ENTAiER-Studie, Weiteres
  • Wirtschaftlichkeit

Aus dem IFAEMM ging eine Anzahl eigener Beiträge zu diesen Themen hervor, so dass hieran die „Evaluation der anthroposophischen Medizin“ exemplarisch behandelt werden kann. Wo erforderlich, wird darüber hinaus auf anderweitige Beiträge verwiesen.

Ist die Anthroposophische Medizin wissenschaftsorientiert?

Die Antwort auf diese Frage ist positiv. Die Wissenschaftsorientierung zeigt sich anhand einer großen Vielzahl von Forschungsprojekten (siehe --> Wissenschaftliche Publikationen zur Anthroposophischen Medizin). Verschiedene dieser Projekte werden weiter unten auf dieser Webseite beschrieben. Die Wissenschaftsorientierung zeigt sich auch anhand der Strategie zu künftiger AM-Forschung. Diese Strategie wurde aus dem IFAEMM initiiert und von 48 Wissenschaftlern entwickelt und verabschiedet (1):

  1. Kienle GS, Ben-Arye E, Berger B, Cuadrado Nahum C, Falkenberg T, Gabor K, Kiene H, Martin D, Wolf U, Szöke H: Contributing to global health – development of a consensus-based whole systems research strategy for anthroposophic medicine. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, Volume 2019, Article ID 3706143, DOI: 10.1155/2019/3706143

Kriterien von Wissenschaftlichkeit

Die Kriterien wissenschaftlicher Praxis werden in der Wissenschaftstheorie definiert (Philosophy of Science). Von 11 relevanten Kriterien (community, domain, problems, goals, axiomatic basis, conceptual basis, quality of concepts, methodology, deontic basis, research products, tradition) sind alle 11 in der AM erfüllt (1). 

  1. Baars EW, Kiene H, Kienle GS, Heusser P, Hamre HJ. An assessment of the scientific status of anthroposophic medicine, applying criteria from the philosophy of science. Complement Ther Med 2018(40),145-50. DOI: 10.1016/j.ctim.2018.04.010

Eines der 11 Kriterien ist besonders zu beachten, nämlich das der conceptual basis. In der Anthroposophischen Medizin anerkennt man, zu Recht, die Existenz von spezifisch gestaltbildenden Kräften (morphogenetic forces). Sie sind in der Natur zusätzlich zu den physikalischen Grundkräften wirksam. Die Anerkennung der Existenz und Wirksamkeit dieser Kräfte und die Konsequenzen hiervon markieren den grundsätzlichen Unterschied zwischen konventioneller und anthroposophischer Medizin, wie unten noch näher dargestellt wird. 

Wissenschaft und Pluralismus der Paradigmen

Die gleichzeitige Existenz von konventioneller und komplementärer (z. B. anthroposophischer) Medizin ist Ausdruck des wissenschaftlichen Prinzips des Paradigmenpluralismus: Schon in der Mathematik gibt es unterschiedliche axiomatische Ansätze (1). Sodann gibt es in den Naturwissenschaften pluralistische Erklärungsperspektiven (2) mit konkurrierenden (3) und komplementären (4) Modellen auf verschiedenen Ebenen (5) sowie einen Pluralismus der Evidenzarten (6). Insgesamt gesehen gibt es eine Pluralität von wissenschaftlichen Denkstilen, Denkkollektiven und Paradigmen (7-9). 

  1. Filler A: Euklidische und nichteuklidische Geometrie. Mannheim: Wissenschaftsverlag; 1993.
  2. Godfrey-Smith P: Explanation. In: Godfrey-Smith P (ed): Theory and Reality. An Introduction to the Philosophy of Science. In., edn. Chicago, London: The University of Chicago Press; 2003: 190–201.
  3. Lakatos I: Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme. In: Kritik und Erkenntnisfortschritt. edn. Edited by Lakatos IM, A. . Braunschweig: Vieweg & Sohn; 1974: 89-190.
  4. Weizsäcker V: Der Gestaltkreis. Theorie der Einheit von Wahrnehmen und Bewegen. Stuttgart: Thieme Verlag; 1947.
  5. Nicolis G, Prigogine I: Die Erforschung des Komplexen. Auf dem Weg zu einem neuen Verständnis der Naturwissenschaften. München: Piper; 1987.
  6. Godfrey-Smith P: Bayesianism and Modern Theories of Evidence. In: Godfrey-Smith P (ed): Theory and Reality. An Introduction to the Philosophy of Science. Chicago, London: The University of Chicago Press.; 2003.
  7. Fleck L: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache: Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv (1935), 2. Auflage edn. Frankfurt am Main: Suhrkamp; 1993.
  8. Kuhn TS: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (The Structure of Scientific Revolutions; 1962) Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag; 1996.
  9. Spinner H: Spinner H. Pluralismus als Erkenntnismodell. Frankfurt am Main: Suhrkamp; 1974.

Analog zu diesem wissenschaftlichen Pluralismus gibt es den medizinischen Pluralismus der verschiedenen Therapierichtungen mit ihren partiell unterschiedlichen Auffassungen von Mensch und Natur. Hierdurch ist allerdings die generelle Wissenschaftsverpflichtung der Therapierichtungen nicht aufgehoben (1).

  1. Kiene H, Heimpel H, Brinkhaus B, Fischer GC, Girke M, Hahn EG, Hoppe JD, Jütte R, Klitzsch W, Kraft K et al: Ärztliche Professionalität und Komplementärmedizin. Was ist seriöses Therapieren? Dtsch Ärztebl 2010(107(12):A):548-550. Volltext im Deutschen Ärzteblatt
    Zum Fortschritt und zum Gedeihen der gesamten Medizin erfordert der medizinische Pluralismus einen Dialog der Therapierichtungen (2).
  2. Willich SN, Girke M, Hoppe J-D, Kiene H, Klitzsch W, Matthiessen PF, Meister P, Ollenschläger G, Heimpel H. Schulmedizin und Komplementärmedizin: Verständnis und Zusammenarbeit müssen vertieft werden. Deutsches Ärzteblatt 2004;101(19):A1314-9. Volltext im Deutschen Ärzteblatt
     

Das grundsätzlich Besondere der Anthroposophischen Medizin

Der grundsätzliche Unterschied gegenüber der konventionellen Medizin betrifft wie gesagt das Verständnis lebender Organismen und deren Erklärbarkeit. In der Anthroposophischen Medizin wird anerkannt, dass in Organismen zusätzlich zu den physikalischen Grundkräften noch spezifische Gestaltbildungskräfte (morphogenetic forces) existieren und wirksam sind (1, 2). Siehe auch: 6 Basisforschung

  1. Kiene H, Hamre HJ. A fundamental question for complementary medicine: Are there other forces in the natural world besides the physical forces? Complement Med Res. 2023 Oct 19, 1-7. DOI: 10.1159/000534592. Epub ahead of print. PMID: 37857264.
  2. Kiene H, Hamre HJ. Eine zentrale Frage zur Komplementärmedizin: Gibt es in der Natur außer den physikalischen Grundkräften noch weitere Kräfte? Complement Med Res. 2023 Dec 11, 1-7. DOI: 10.1159/000534899 

Aus diesem Verständnis von Natur und Mensch ergeben sich Konsequenzen für das AM-Verständnis von Krankheit, Diagnose und Therapie sowie auch für die Gesamtmethodik der Therapieevaluation.

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